Butterfahrt nach Pamukkale
Weihnachten 2007 erhielt Herr Becker Post von Payback, in der ihm „ein besonderes Geschenk“ gemacht wurde: eine Reise in die Türkei! Genauer: „In ein 5-Sterne Hotel. Eine Woche lang.“
Bucht von Alanya
Diese Post bekam Herr Becker nicht allein. Mehrere zehntausend Bundesbürger haben sich im Winter 2007/ Frühjahr 2008 beschenken lassen und sind an die türkische Riviera gejetet. In eins der zahlreichen 5-Sterne-Hotels. Wie die Geschenkpost einschränkend vermerkte: „landesübliche Kategorie“. Herr Becker war noch nie in einem Luxushotel. Er hat seine Urlaube in den vergangenen Jahren auf dem Fahrrad auf Zeltplätzen in böhmischen Dörfern verbracht. Ob das 5-Sterne-Hotel in Konakli, 12 km westlich von Alanya, in unmittelbarer Nähe des Mittelmeerstrandes, weniger Luxus bietet als ein 5-Sterne-Hotel irgendwo anders in der Welt, kann er nicht sagen. Meeresblick hatte sein Zimmer nicht und auch Lage und Größe des Hotelgebäudes waren nicht nach seinem Geschmack. Dafür war das tägliche Frühstücks- und Abendbüfett so üppig und vielfältig, dass er seine Einwände gegen „Massentourismus“ des öfteren vergaß. Außerdem wollte er nicht undankbar sein, denn sein Aufenthalt am Strand des Mittelmeeres war ja geschenkt.
Fast geschenkt! Denn Herr Becker gehört zu den Menschen, die bei der Planung ihres Urlaubs nicht ganz frei sind. Die an Ferientermine gebunden sind. Und deshalb musste Herr Becker 220.- Euro für Flug, Unterkunft im Doppelzimmer und Halbpension bezahlen. Genauso viel wie seine Partnerin. Überhaupt nichts hätte ihn das „Geschenk“ gekostet, wenn er ein paar Wochen früher geflogen wäre. Anfang Januar. Aber da musste Herr Becker arbeiten. In den Genuss, eine Reise zum Nulltarif machen zu können, kamen Bundesbürger, die über ihre Zeit frei verfügen können. Rentner zum Beispiel. Deshalb machte Herr Becker in der Osterwoche eine geschenkte Reise, die ihn 220.- Euro kostete.
Herr Becker hat nicht bereut, die - fast - geschenkte Reise gemacht zu haben. Er hat im Verlauf der Urlaubswoche ein paar Mal gezweifelt, ob seine Entscheidung richtig war. Die Ankunft auf dem Flughafen in Antalya um Mitternacht war nicht nach seinem Geschmack. Danach die zweistündige Fahrt bis zum Hotel in einem vollgepackten Bus eine Qual. Seine Reisegruppe hätte er sich, wenn er denn nun einmal in einer Gruppe sich bewegen sollte, jünger und dynamischer gewünscht. Doch wenn Herr Becker nach seiner Rückkehr Bilanz zieht, so fällt die recht günstig aus. Er hat in dieser Woche überraschend viel gesehen und erlebt. Für einen günstigen Preis.
Nicht überrascht war Herr Becker von dem sonnigen Wetter und den prächtigen Stränden. Damit wirbt die Türkei intensiv. Was ihn überraschte, waren die Kulturdenkmäler, über die er - mehr oder weniger – gestolpert ist. Natürlich hatte er von Troja gelesen. Doch Troja liegt nicht bei Alanya, wohin ihn die Reise führte. Und natürlich wusste er, dass es noch ein paar andere antike Städte in „Kleinasien“ gibt. Dass diese Städte an der türkischen Riviera einfach so am Wegrand liegen, imponierende Ausmaße haben und dass beispielsweise die Stadt Side in eine antike Stadt mit Amphitheater, Agora und Nymphaem hineingebaut worden ist und die Einwohner von Side mal gerade einen Tee beim Apollontempel trinken gehen, das wusste er nicht. Wobei der Besuch Sides oder anderer antiker Orte erstaunlicherweise nicht zum „offiziellen“ Besuchsprogramm seiner Reisegruppe gehörte.
Was auf dem Besuchsprogramm unter Führung eines türkischen Reiseleiters stand, waren eine Hand voll Verkaufsveranstaltungen.„Landestypische Waren“, so Reiseleiter Onur, wurden dabei Herrn Becker angeboten. Seine finanziellen Rahmen sprengten nicht nur Diamanten, sondern auch Teppiche und Lederwaren. Andere Mitreisende griffen dagegen zu. Herr Beckers Tanten hatten sich in den 70er Jahren auf der Ostsee auf einen Kutter begeben, um vor der dänischen Küste billig Butter und Käse zu kaufen. Herr Beckers Mitreisende deckten sich drei Jahrzehnte später dreitausend Kilometer von ihrer Heimat entfernt mit „günstigen“ Saphiren ein.
PamukkaleWar die Diamantenshow überstanden, ging es am zweiten Tag der Reise über Antalya mit einem Bus durch das Taurus-Gebirge nach Pamukkale. Herr Becker erfuhr, dass das soviel wie „Baumwollfestung“ heißt. Der Ort liegt in dem Gebiet der Türkei, in dem Baumwolle angebaut und verarbeitet wird. Die weißen Kalkterrassen, von der UNESCO zum Weltkulturerbe erhoben, überragen das Gebiet und erscheinen aus der Distanz betrachtet eine weiße Burg zu sein. Das touristische Ziel eines jeden Türkeireisenden! Allerdings bereitete Reiseleiter Onur die Reisegesellschaft während der Anfahrt schon auf ein paar Schönheitsfehler vor. Die Folgen der Jahre lang rücksichtslos betriebenen Ausbeutung durch mittlerweile wieder abgerissene Hotels waren nicht zu übersehen: schäbig braune Flecken haben sich dort gebildet, wo die Abflüsse aus den ehemaligen Hotels den Kalk weggeschwemmt haben. Mindestens genauso interessant wie die Kalkterrassen fand Herr Becker einen antiken Ort, von dem er vorher nie etwas gehört hatte. Weder in einem Geschichtsbuch noch in den Ausführungen des türkischen Reiseleiters. Der hatte immer nur von Pamukkale erzählt, nicht aber von Hierapolis. Dabei liegen die Reste der antiken Stadt unmittelbar im Bereich der Kalkterrassen. Der Eintritt zu dem Naturdenkmal ist gleichzeitig der Eintritt zu dem Kulturdenkmal und beides zusammen ist das heutige Weltkulturerbe. In Hierapolis konnte Herr Becker das Amphitheater besteigen, über die Hauptstraße der ehemals 120.000 Einwohner zählenden Stadt schlendern und am Schluss die Nekropole, die Stadt der Toten, besichtigen.
Amphitheater in HierapolisWaren Pamukkale und. Hierapolis Bestandteile des Reiseprogramms, so galt das für die anderen Orte, die Herr Becker im Laufe der Woche besuchte, nicht. Nach Side, Aspendos und auf die Burg in Alanya machte er sich solo, ohne Reiseleiter und ohne Reisegruppe auf den Weg. Die meisten anderen Mitreisenden hatten auch für den zweiten Teil der Woche „Programm“ gebucht. Das war nicht im „Geschenkpaket“ enthalten und kostete sie noch einmal 100 Euro. Dafür gab es erneut eine Reiseleitung und sonstige „Vergünstigungen“, wie einen gemieteten Bus und bestelltes Mittagessen. Darauf verzichtete Herr Becker allerdings liebend gerne. Er brauchte keinen Reisebus, sondern nutzte das öffentliche Verkehrssystem in der Türkei. Er stellte sich an die Straße, hielt den Daumen hoch und schon stoppte einer der Dolmuse. Das sind kleine Busse, die im 5-Minuten-Rhythmus verkehren. Ein Ticket kann einmal 2 Euro kosten, zumeist ist es weniger. Dafür saß Herr Becker dann auch schon mal zwischen kichernden türkischen Schülerinnen.
Apollontempel in SideAndere Urlaubsreisende, die auch keine Lust auf das offizielle „Reiseprogramm“ hatten, mieteten sich für 25.- Euro am Tag ein Auto und gestalteten ihr „Kontrastprogramm“, so dass Herr Becker bei seinem Besuch in den Ruinen des Apollontempels in Side mehrere Bekannte wiedersah. Darunter befand sich Frau Schäfer, die im Verlauf der letzten drei Jahre Side schon ein paar Mal besucht hatte. „Warum steht eine solche Stadt wie Side oder das antike Aspendos nicht auf dem offiziellen Reiseprogramm?“, hatte Herr Becker von ihr als erfahrener Türkei-Reisenden wissen wollen. Frau Schäfer hatte gemutmaßt, dass solche griechischen oder römischen Orte nicht zur Geschichte der Türken gehören. „Und wie kommt es, dass ein paar zehntausend Deutschen in den Genuss solch preiswerter Türkei-Reisen kommen?“, hatte Herr Becker weiter gefragt. „Das hat unser Reiseführer doch vorgerechnet“, hatte Frau Schäfer geantwortet. „Haben Sie das nicht mitbekommen? Das war doch auf der Fahrt nach Pamukkale!“ Herr Becker hatte nichts mitbekommen. „Da habe ich wohl gerade ein Nickerchen gemacht“, hatte er sich entschuldigt. „Flug, eine Woche Hotel und begleitetes Reiseprogramm“, hatte ihm daraufhin Frau Schäfer vorgerechnet, „das kostet mindestens fünfmal soviel wie wir bezahlen. Den Rest bezahlen Sponsoren und ganz besonders der türkische Staat. Der sorgt für billigen Benzin für die Busunternehmen und der verhandelt mit Fluggesellschaften und Hotelketten.“
Nach seiner Rückkehr überlegt Herr Becker nun, ob er sich noch einmal von Payback eine Reise „schenken“ lassen soll. Doch erst einmal plant er eine Radreise im Sommer in die Masuren. Auf eigene Faust, ohne Reiseleitung.
Hans Weingartz
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