Paul von Hindenburg - „nicht geeignet, um eine demokratische Identität zu begründen“(21.5.2012) Elisabeth-Selbert-Gesamtschule in der Hindenburgallee? fragten sich die TeilnehmerInnen eines Projektes, das im März dieses Jahres an der Godesberger Gesamtschule stattfand. SchülerInnen des Projektes kamen zu dem Ergebnis, dass Elisabeth Selbert, eine der vier „Mütter des Grundgesetzes“ und seit dem vergangenen Jahr die Namensgeberin der Godesberger Schule, und Paul von Hindenburg, dessen Namen die Straße trägt, an der die Schule liegt, so gar nicht zusammenpassen.
Ein paar von diesen SchülerInnen suchten deshalb im Rahmen des Projektes die, wie sie meinten, für Straßenumbenennungen „zuständige Stelle“ im Bonner Stadthaus auf – und kamen entmutigt zurück! Ihr Anliegen, die Straße, an der ihre Schule liegt, mit dem Namen einer Person zu versehen, die Vorbild für sie und ihre MitschülerInnen sein kann, fand im Stadthaus kein Gehör. Auf die Frage, was ihnen denn dort mit auf den Weg gegeben worden sei, meinte eine Schülerin, dort sei ihnen geraten worden, das Vorhaben nicht weiter zu verfolgen. Es habe keine Aussicht auf Erfolg! Eine Straßenumbenennung sei ein viel zu aufwändiges Verfahren.Doch die SchülerInnen wurden im Stadthaus schlecht beraten. Ihr Anliegen hat sehr wohl Aussicht auf Erfolg. Am 5. Juli 2012 wird sich der „Ausschuss für Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger und Lokale Agenda“ und am 28. August die Bezirksvertretung Bonn mit einem Bürgerantrag beschäftigen. Darin beantragt der Verein „Wissenskulturen e.V.“, „1. dem früheren Reichspräsidenten Paul von Hindenburg“, so der Antrag, „der 1933 Adolf Hitler und der NSDAP die Regierungsmacht übertrug, die ihm in demselben Jahr von der Stadt Bonn verliehene Ehrenbürgerwürde abzuerkennen, und 2.den Hindenburgplatz und die Hindenburgallee umzubenennen“.
Bonn steht mit seiner bisherigen Hindenburg-freundlichen Haltung nicht allein. 3.824 deutsche Städte und Gemeinden haben – so steht es zumindest in Wikipedia - Hindenburg seit den 1920er Jahren zum Ehrenbürger ernannt. Dazu kommen zahlreiche Straßen, Plätze, Brücken und öffentliche Einrichtungen wie Schulen, die seinen Namen tragen. Doch nach einer Umbenennungswelle in den Jahren nach dem 2. Weltkrieg diskutieren seit den 1970er Jahren einzelne Städte und Gemeinden über den nachträglichen Widerruf der Ehrenbürgerschaft und spätestens seit zwei Jahren gibt es so etwas wie einen Gegentrend. So legte im April 2009 das bis zu diesem Zeitpunkt nach Hindenburg benannte Gymnasium in Trier seinen Namen ab und heißt heute Humboldt-Gymnasium. Eine ganze Reihe von Städten, darunter Dortmund, Köln, Leipzig, München und Wuppertal , seit dem 15. Juli 2010 auch Stuttgart, erkannten Paul von Hindenburg die Ehrenbürgerwürde ab. Die jüngste, aufgrund der Umstände bisher spektakulärste Entscheidung traf der Rat der Stadt Münster am 21. März 2012: nach einer geheimen Abstimmung heißt der ehemalige Hindenburgplatz in Münster nun Schlossplatz.
Einen wichtigen Beitrag für die zunehmend kritische Betrachtung Hindenburgs spielt die 2007 erschienene Biografie des Stuttgarter Historikers Wolfram Pyta: „Hindenburg. Herrschaft zwischen Hohenzollern und Hitler“. „Dass Hindenburg Hitler zur Macht verholfen hat,“ schrieb in einer „Stellungnahme zur historischen Rolle von Reichspräsident Paul von Hindenburg“, die sich auf diese Biografie stützt, Hans-Ulrich Thamer, Professor für Neuere und Neueste Geschichte an der Westfälischen Wilhelms-Universität , „ist keineswegs ein Ausdruck von Alterssenilität und Fremdbestimmung des Reichspräsidenten, sondern, …, dessen bewusste Entscheidung.“ Und Thamer in seiner Stellungnahme abschließend: „Hindenburg ist mit seiner Politik ein wichtiger und verhängnisvoller Teil der deutschen Geschichte. Die Erinnerung daran ist jedoch nicht geeignet, um mit seiner Ehrung durch einen Straßennamen eine demokratische Identität zu begründen.“
Geplänkel
(6.7.2012) Am 5. Juli 2012 befasste sich der "Ausschuss für Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger und Lokale Agenda" mit dem Antrag des Vereins "Wissenskulturen e.V.". Wer an diesem Nachmittag mit echter Bürgerbeteiligung gerechnet hatte, wurde allerdings enttäuscht. Das Verfahren sah so aus, dass ein Vertreter des Vereins den Antrag vor den versammelten Ausschussmiltgliedern begründen "durfte". Weitere Bürgerbeteiligung war dann allerdings nicht mehr vorgesehen. Stattdessen nahmen Ausschussmitglieder zu dem Antrag Stellung - und demonstrierten ein recht niveauloses und von wenig bis keinen Sachkenntnissen getrübtes Geplänkel darüber, welche Rolle Hindenburg gespielt hat und wie denn nun in Bonn mit Hindenburg umgegangen werden soll.
Die Weichen zu diesem Vorgehen hatte ein Antrag der CDU im Ausschuss gestellt, der von der Mehrheit der Ausschussmitglieder mitgetragen wurde. Inhalt des Antrages: der Ausschuss soll keine Entscheidung treffen, stattdessen sei das, was an diesem Nachmittag geschehe, als "erste Lesung" anzusehen.
Entscheiden konnte der Ausschuss sowieso nichts. Sowohl die Frage, ob Hindeburg weiterhin Bonner Ehrenbürger ist, als auch die Frage, ob die Hindenburgallee und der Hindenburgplatz umbenannt werden, beantwortet der Rat der Stadt. Allerdings hätte der "Bürgerausschuss" Empfehlungen aussprechen können, wie er das in vielen anderen Fällen von Bürgeranträgen tut. Vor diesem Hintergrund lässt sich der CDU-Antrag als Versuch ansehen, die Entscheidungen auf die lange Bank zu schieben.
Für eine Empfehlung des Ausschusses gab es sogar von Seiten der Stadt eine am 18.6.2012 vorsichtig formulierte Vorlage. Darin verweist sie darauf, dass neben diesem Bürgerantrag "der Verwaltung weitere Schreiben aus der Bürgerschaft vor(liegen), die sich mehrheitlich für eine Umbenennung aussprechen und teilweise konkrete Vorschläge machen (Ulrich-Dardenne-Platz, Elisabeth-Selbert-Allee)." Und die Verwaltung weiter: "Aufgrund der neueren Geschichtsforschung muss die historisch-politische Rolle des Reichspräsidenten von Hindenburgs im Jahre 1933 differenzierter bewertet werden als bisher. Hier ist insbesondere die Studie des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe zu nennen, in deren Folge zu Beginn dieses Jahres in Münster der Hindenburgplatz in Schlossplatz umbenannt wurde."
Mal sehen, wie denn nun die "2. Lesung" aussieht.
Hindenburgs Testament
(Der folgende Beitrag wurde am 17. Juli 2012 für Wikipedia verfasst:):
Im Juli 1934 verschlechterte sich der Gesundheitszustand Hindenburgs. Bis dahin hatte er seine Dienstpflichten als Reichspräsident wahrgenommen. "Und auch noch in der Endphase seines Blasenleidens blieb Hindenburg im Vollbesitz seiner geistigen Kräfte. Erst zwanzig Stunden vor dem Ableben fiel er in Bewußtseinstrübungen, erkannte aber Hitler, als dieser den Sterbenden am Nachmittag des 1. August aufsuchte." (Wolfram Pyta: ''Hindenburg - Herrschaft zwischen Hohenzollern und Hitler'', S. 855)
Für die Nachwelt hinterließ Hindenburg ein politisches Dokument, in dem er seine politischen Anschauungen zusammenfasste, so dass es als Schlüsseldokument einzustufen ist. "Dieses auf den 11. Mai 1934 datierte politische Testament war ein Rechenschaftsbericht über sein politisches Wirken seit dem Untergang der Monarchie; es enthielt darüber hinaus in komprimierter Form seine politischen Anschauungen. Nicht zuletzt ist dieses politische Testament geeignet, eine eindeutige Antwort auf die Frage nach seinem spezifischen Herrschaftsverständnis zu geben." ( Pyta, S. 855)
Hindenburgs Testament vom Mai 1934 ist nicht sein erster Versuch, Rechenschaft abzulegen. Das Abschlusskapitel seiner 1920 erschienen Erinnerungen „liest sich wie ein politisches Vermächtnis und wurde auch von Hindenburg so aufgefaßt“. ( Pyta, S. 855) Dieses Kapitel hat er, nur wenig verändert, in den meisten Passagen wortwörtlich in sein Testament übernommen (vgl. hier...). In einer zentrale Passage dieses Kapitels lässt Hindenburg keinen Zweifel, dass er bís zuletzt ein Anhänger der Monarchie war: „Gegenwärtig (hier bezieht Hindenburg sich auf die Zeit nach dem 1. Weltkrieg) hat eine Sturmflut wilder politischer Leidenschaften und tönenden Redensarten unsere ganze frühere staatliche Auffassung unter sich vergraben, anscheinend alle heiligen Überlieferungen vernichtet. Aber diese Flut wird sich wieder verlaufen. Dann wird aus dem ewig bewegten Meere völkischen Lebens jener Felsen wieder auftauchen, an den sich einst die Hoffnung unserer Väter geklammert hat und auf dem fast vor einem halben Jahrhundert durch unsere Kraft des Vaterlandes Zukunft vertrauensvoll begründet wurde: Das deutsche Kaisertum!“ (Hindenburgs Testament)
In den daran anschließenden Teilen seines Testamentes begründet Hindenburg sein politisches Handeln bis in das Jahr 1934. Abschließend lässt Hindenburg in dem Schriftstück keine Zweifel, dass er sein Lebenswerk zu diesem Zeitpunkt in guten Händen weiß – in den Händen des von ihm vor einem Jahr ernannten Reichskanzlers Adolf Hitler: "Ich danke der Vorsehung", schreibt Hindenburg, "daß sie mich an meinem Lebensabend die Stunde der Wiedererstarkung (des deutschen Volkes) hat erleben lassen. Ich danke all denen, die in selbstloser Vaterlandsliebe an dem Werk des Wiederaufstiegs mitgearbeitet haben. Mein Kanzler Adolf Hitler und seine Bewegung haben zu dem großen Ziele, das deutsche Volk über alle Standes- und Klassenunterschiede zur inneren Einheit zusammenzufassen, einen entscheidenden Schritt von historischer Tragweite getan. Ich weiß, daß vieles noch zu tun bleibt, und ich wünsche von Herzen, daß hinter dem Akt der nationalen Erhebung und des völkischen Zusammenschlusses der Akt der Versöhnung stehe, der das ganze deutsche Vaterland umfaßt. Ich scheide von meinem deutschen Volk in der festen Hoffnung, daß das, was ich im Jahre 1919 ersehnte und was in langsamer Reife zu dem 30. Januar 1933 führte, zu voller Erfüllung und Vollendung der geschichtlichen Sendung unseres Volkes reifen wird." (Hindenburgs Testament)
Nach Hindenburgs Tod erhielt Hitler am 14. August 1934 das Testament. Es bestand aus zwei Schriftstücken: dem Testament sowie einen an Hitler adressierten persönlichen Brief. "Hitler öffnete beide Dokumente in Gegenwart der Anwesenden und studierte den Inhalt aufmerksam. Anschließend schlüpfte er in die Rolle des Testamentsvollstreckers, indem er darüber befand, ob und in welcher Weise die Dokumente der deutschen Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden sollten. Am 15. August autorisierte er die Veröffentlichung des politischen Vermächtnisses, das am 16. August in der deutschen Presse in vollem Wortlaut erschien. Den Inhalt des an ihn persönlich adressierten Schreibens behielt er für sich; dieses Schreiben ist bis heute nicht aufgetaucht." ( Pyta, S. 866)
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